Das Buch des Monats - Kommentiert von Michael Schneider

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Michael Schneider
Einführung in die Theologie
Patristisches Zentrum Koinonia - Oriens e.V (Edition Cardo; B d. 80) Köln 2003 (Zweite Auflage)
ISBN 3-933001-77-3   Preis: 9.50 €


Vor dreihundert Jahren lebte in Stettin ein Theologe, der von allen wegen seiner Gelehrsamkeit und seines vorbildlichen Lebenswandels aufs beste geachtet und geschätzt wurde. Er ging regelmäßig zum Gottesdienst und lebte sein Christentum so, daß es in allem überzeugend und mit der Botschaft des Evangeliums übereinstimmend erschien. Bei seinem Tod fand sich in seiner Wohnung ein Manuskript, das sehr schnell Aufsehen erregte. Dort war nämlich zu lesen, Jesus und seine Jünger hätten auf alle mögliche Weise versucht, ihre Mitmenschen für die Glaubensbotschaft zu gewinnen, damit sie zu einem erfüllten und humanen Leben finden. Nicht anders verfolgte auch dieser Theologe sein humanes Anliegen: Er lebte nach außen hin ein gläubiges Leben in der Kirche, um seine Zeitgenossen für ein aufgeklärtes Verständnis des Evangeliums zu gewinnen und sie auf den Weg wahrer Humanität zu führen. - Der Mann hieß bekanntlich Reimarus. Die Begebenheit enthält eine sehr aktuelle Frage, nämlich die nach der Bedeutung des Theologen für die Theologie. »Es geht nicht darum, Theologie zu studieren, sondern ein Theologe zu werden.« Dieses Wort, am Anfang meines Studiums uns damals in der ersten Vorlesung zur Einführung in die Theologie auf den Weg gegeben, hat mich bis heute begleitet. Gegenwärtig wird in der Dogmatik nicht selten die Frage nach einer möglichen existentiellen »Biographisierung« von Glaube und Theologie gestellt. Die Theologie erwächst in einem primären, nicht erst nachträglichen Akt einer spirituellen Erfahrung. J.B. Metz beklagt, daß die katholische Theologie der Neuzeit weithin geprägt ist »von einem tiefgreifenden Schisma zwischen theologischem System und religiöser Erfahrung, zwischen Doxographie und Biographie, zwischen Dogmatik und Mystik«. Dieses Schisma bewirkt im Laufe der Glaubensgeschichte, daß einerseits die religiöse Erfahrung immer subjektivistisch  impressionistischer wird und öffentlich nichts mehr einzubringen hat und daß andererseits die Theologie nicht selten zu einer rein formalen Lehre verkümmert. Eine »lebensgeschichtliche Dogmatik«, eine »Art Existentialbiographie« erscheint Metz als ein Ausweg aus dem Dilemma. Die wichtigsten Errungenschaften in der Theologie und Kirchengeschichte entstammen, wie Metz betont, allemal einer wissenschaftlich »unreinen« Theologie,in welcher Biographie, Phantasie, Erfahrung und Gebet unlöslich ins »System« verwoben sind. Würde sich die Theologie als eine »praktische« Wissenschaft begreifen bzw. als eine Theologie der im Handeln erfahrenen und erschlossenen Wirklichkeit Gottes, wäre die Praxis keine Frage der Anwendung, sondern der genuine Ort der Theologie selbst.

 

 

 

 

G. Ebeling führt hierzu aus: Solange das christliche Wort nicht erfahrungsgriffig gesagt und der christliche Glaube nicht erfahrungsverändernd gelebt wird, bleibt die beunruhigende Frage, ob die Theologie ihrer Verantwortung für den Erfahrungsbezug von Wort und Glaube gerecht wird. Die Spannung zwischen Lehre und Leben gehört unaufgebbar zur reinen Lehre und zum rechten Leben hinzu, dennoch muß die Theologie, will sie dem ihr eigenen Auftrag treu bleiben, gerade um die gegenseitige Beeinflussung und Stärkung von Lehre und Leben, von Theologie und Mystik, von Doxologie und Biographie bemüht sein. So ist zu zeigen, daß es Theologie nur im »Kontext« gibt, nämlich im Kontext von Leben und Nachfolge und damit auch im Kontext der zahlreichen Lebensäußerungen des Glaubens, nämlich Architektur, Kunst, Literatur, Musik, Psychologie etc. Zunächst sei die existentielle Erfahrungsstruktur der Theologie eruiert.