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Aus der Reihe »Koinonia
Oriens« Band 48:
Lothar Heiser, Mosaike und Hymnen. Frühes Christentum in
Syrien und Palästina, EOS-Verlag: St. Ottilien 1999 (29.70 €).
LOTHAR HEISER
DIE RELIGIÖSE LAGE DER CHRISTEN IN SYRIEN HEUTE
Die im 4. und 5. Jahrhundert im Zusammenhang
mit den christologischen Kontroversen erfolgten Spaltungen der Christen im
syrisch-palästinensischen Orient dauern an; ja es sind weitere
Aufgliederungen hinzugekommen, da sich in der Neuzeit viele Christen von
ihrer Kirche getrennt haben und eine Union mit der römischen Kirche
eingingen. Hinzu kommen noch die Trennungen durch die politische Neuordnung
des Orients im 20. Jahrhundert. Was ehemals in der politischen Ordnung des
Römischen Reiches als einheitliche Diözese Oriens den großen
syrisch-palästinensischen Kulturraum umfaßte und auch unter den islamischen
Kalifen und den türkischen Sultanen weitgehend als Einheit verwaltet wurde,
zerfiel durch die Gründungen der modernen Staaten in viele kleine Einheiten.
Die alte römische Diözese Oriens ist heute aufgegliedert in das gespaltene
Zypern, die süd-östliche Türkei, Syrien, Irak, Libanon, Israel, Palästina,
Jordanien und Sinai (Ägypten). In den vom Islam geprägten Ländern besitzen
die Bürger keine demokratischen Rechte, da nach dem Grundgesetz des Koran
die Macht nicht vom Volk ausgeht, sondern allein von Allah und seinen
irdischen Vertretern. Die Zahl der Christen ist in diesen Ländern, abgesehen
vom Libanon, auf etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung
zusammengeschrumpft. Die Drangsalierung der Christen in islamischer Umgebung
hält an. Sie zeigt sich vor allem bei der Gründung von Schulen oder dem Bau
von Kirchen, bei der Berufssuche oder der Aufnahme in den kommunalen und
staatlichen Dienst; Muslime werden bevorzugt, und viele christliche Familien
sehen sich um der Zukunft ihrer Kinder willen genötigt, nach Europa, Amerika
und Australien auszuwandern. Das islamische Eherecht verbietet zudem einem
islamischen Mädchen, einen christlichen Mann zu heiraten, fördert aber die
Heirat zwischen einem islamischen Mann und einer christlichen Frau, da die
Kinder mit der Geburt die Religion des Mannes annehmen. Eine Konversion zum
Islam ist erwünscht, die zum Christentum verboten.
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Die orthodoxe Kirche
Die Patriarchate von Antiocheia und Jerusalem haben sich unter den
Repressalien der islamischen Herrscher stärker an die oströmischen Kaiser
und das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel gebunden und seit dem 10.
Jahrhundert sogar ihre heimische Liturgie durch die liturgische Ordnung der
Kaiserstadt ersetzt. Abschätzig wurden sie von der islamischen Bevölkerung,
aber auch von den Christen der anderen Kirchen als Melkiten, Königstreue,
bezeichnet.
1) Der orthodoxe Patriarch "der großen Gottesstadt Antiocheia, Syriens,
Arabiens, Kilikiens (Türkei), Iberiens (Georgiens), Mesopotamiens und des
ganzen Orients" hat seinen Sitz aus dem heute türkischen Antiochien (Antakya)
in das syrische Damaskus verlegt. Die Zahl der Gläubigen beträgt etwa
210.000, wovon ca. 150.000 in Amerika leben.
2) Der orthodoxe Patriarch "der Heiligen Stadt Jerusalem und von ganz
Palästina, Syrien, Arabien, von Jenseits des Jordans, von Kana in Galiläa
und des Heiligen Sion" hat seinen Sitz in Jerusalem. Die Zahl der zumeist
arabisch sprechenden, palästinensischen Gläubigen, die durch Beschränkungen
ihrer überkommenen Rechte im israelischen Staat zu Bürgern zweiter Klasse
degradiert sind und deshalb immer häufiger auswandern, wird auf 80.000
geschätzt. Als autonome Kirche ist das Erzbistum des Berges Sinai mit dem
Katharinenkloster, das politisch zu Ägypten gehört, und den etwa 20
griechischen Mönchen dem Patriarchat von Jerusalem zugeordnet.
3) Als Melkiten bezeichnen sich heutigentags vor allem die mit Rom unierten
Christen orthodoxer Tradition. Mit der türkisch-osmanischen Herrschaft über
den Orient seit dem 16. Jahrhundert wurde die Lage der Christen immer
desolater; von Konstantinopel, das 1453 von den Türken erobert wurde, war
Hilfe nicht zu erwarten. Unter dem Einfluß lateinischer "Missionare" und der
von ihnen errichteten Schulen wandten sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts
viele orthodoxe Christen der römischen Kirche zu, und seit 1724 besteht das
katholische, melkitische Patriarchat von Antiocheia mit heutigem Sitz in
Damaskus; ihm zugeordnet ist das Patriarchalvikariat von Jerusalem. Die Zahl
der Gläubigen, zumeist syrischarabischer und palästinensisch-arabischer
Herkunft, beträgt etwa 500.000 Gläubige, wovon jedoch ca. 200.000 in Europa
und in Amerika leben. Die unierten Melkiten haben sich erfolgreich gegen die
Latinisierung gewehrt und ihr orthodoxes Erbe bewahrt.
4) Die Maroniten, hauptsächlich im Libanon und im westlichen Syrien
beheimatet, haben ihre
Wurzeln ebenfalls in der syrischen Kirche; ihren Namen leiten sie von einem
Mönch Maron (gest. um 423) her. Sie vertreten wie die orthodoxen Griechen
Syriens die Lehre des Konzils von Chalkedon von den beiden Naturen in
Christus. Zur Zeit der Kreuzfahrer haben sie sich 1181 geschlossen der
Kirche von Rom unterstellt; seither haben sie sich jedoch stark der
geistigen und liturgischen Latinisierung geöffnet. Der maronitische
Patriarch, der ebenfalls den Titel von Antiocheia führt, hat seinen Sitz
seit 1790 in Bherké (Libanon). Die Zahl der Maroniten im Libanon und im
Ausland (Syrien, Palästina, Amerika, Australien) beträgt etwa 1.400.000
Gläubige.
Die westsyrische
Kirche
Viele Christen westsyrisch-semitischer Herkunft haben die Lehre des Konzils
von Chalkedon von 451 nicht angenommen. Ihre kirchliche Organisation, gegen
den Widerstand der oströmischen Kaiser und der orthodoxen Kirche aufgebaut,
geht auf den Mönch und Bischof Jakob Burdeana (gest. 578) zurück.
1) Diese westsyrische Nationalkirche, zuweilen als Jakobitische Kirche
bezeichnet, gehört mit der Armenischen, Koptischen und Äthiopischen Kirche
zu den vorchalkedonischen Gemeinschaften. Sie selbst bezeichnet sich als
Syrisch-Orthodoxe Kirche und betrachtet sich als legitime Erbin der
Tradition von Antiochien; der Patriarch von "Antiocheia und dem ganzen
Orient" hat seinen Sitz ebenfalls in Damaskus. Etwa 150.000 Gläubige gehören
dieser syrischen Nationalkirche an, von denen ca. 80.000 im Kerngebiet ihres
Ursprungs leben, viele davon unter türkischer und kurdischer Unterdrückung
im Tur 'Abdin, dem "Berg der Gottesknechte" in der Südosttürkei.
2) Die westsyrische Kirche hat sich im 17. Jahrhundert in Indien
ausgebreitet; dort erhielt sie starken Zulauf von den Thomas-Christen, die
sich wegen der Latinisierungsversuche aus dem Abendland von ihrer Kirche
abwandten und sich dem Patriarchat von Antiocheia unterstellten oder eine
völlig unabhängige Kirche bildeten. Der Katholikos der autonomen
"Syrisch-Orthodoxen Kirche des Ostens" unter dem antiochenischen Patriarchat
hat seinen Sitz in Muvattupuzha im indischen Kerala. Der unabhängige
Katholikos "des Apostolischen Thrones des heiligen Thomas" der
Mar-Thoma-Kirche residiert in Kottayam in Kerala. Jede der beiden Kirchen
hat etwa 75.000 Gläubige, hauptsächlich in Indien.
3) Teilunionen mit der Römischen Kirche haben die Syrische Kirche in der
Neuzeit weiter aufgespalten. Das "Syrisch-Katholische Patriarchat von
Antiochien" mit Sitz in Beirut (Libanon) umfaßt etwa 80.000 Gläubige. Aus
Teilen der indischen Kirche westsyrischer Tradition ist durch Union mit Rom
die "Katholische Metropolie der Syro-Malankarischen Kirche" hervorgegangen;
zu ihr gehören etwa 200.000 Gläubige, der katholische Metropolit residiert
in Trivandrum in Kerala.
Die ostsyrische Kirche
Die Christen Ostsyriens im Zweistromland (heute Irak) und in Persien, die
unter persischer Herrschaft nicht an den Konzilien von Ephesus (431) und
Chalkedon (451) teilnehmen konnten und später der Lehre des Nestorios
folgten, weshalb sie zuweilen als Nestorianer bezeichnet werden, bilden die
"Apostolische und Katholische Kirche des Ostens". Ihre intensive
Missionstätigkeit vom 4. bis zum 13. Jahrhundert hat die christliche
Botschaft nach Indien, Zentralasien und nach China getragen. Die Kirche der
Thomas-Christen im Südwesten Indiens wurde durch sie belebt und erhielt
durch sie ihre Organisation. Leider hat die Mongolenherrschaft vom 13. bis
zum 16. Jahrhundert diese einst blühende Kirche weithin vernichtet.
1) Die ostsyrischen Christen bezeichnen sich heute gern als Assyrer; ihre
Zahl beläuft sich etwa auf 130.000 Christen, wovon ca. 50.000 in den USA
leben. Seinen Sitz hat der Katholikos- Patriarch in Teheran.
2) Das der Tradition nach auf den Apostel Thomas zurückgehende Christentum
im Südwesten Indiens, das vom 4. Jahrhundert an belebende Impulse und
Organisation von der ostsyrischen Kirche empfangen hatte, war durch die
Mongolenherrschaft nur noch ein Schattenbild seiner früheren Größe. Auf
einer Synode 1599 verfügte der portugiesische Bischof von Goa die
Zwangsunion mit Rom und die Latinisierung der Riten der Thomas-Kirche. Als
Reaktion darauf unterstellten sich viele Thomas-Christen dem Patriarchen der
Syrisch-Orthodoxen Kirche. So wurde die ostsyrische Kirche in Indien völlig
zerschlagen; ihr gehören nur noch 15.000 Christenan.
3) Zu den mit Rom unierten Kirchen des ostsyrischen Ritus zählen das
Chaldäische Patriarchat von Babylon mit Patriarchensitz in Bagdad, dem etwa
270.000 Gläubige angehören, und die Ostsyrisch-Malabarische Kirche mit
eigener indischer Hierarchie und mit etwa zwei Millionen Gläubigen; nach
ihrer Zwangslatinisierung Ende des 16. Jahrhunderts durch die Portugiesen
besinnt sie sich heute wieder stärker auf ihre ostsyrischen Wurzeln.
Die Zersplitterung der syrischen Kirchen ist im 19. Jahrhundert noch größer
geworden, seitdem es neben den Unionen mit der römisch-katholischen Kirche
fast überall aufgrund von "Missionierung" auch evangelische Gemeinschaften
gibt.
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