Das Buch des Monats - Kommentiert von Michael Schneider

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aus der Reihe »Koinonia Oriens« Band 48:
Lothar Heiser, Mosaike und Hymnen. Frühes Christentum in Syrien und Palästina, EOS-Verlag: St. Ottilien 1999 (29.70 €).
 

LOTHAR HEISER
DIE RELIGIÖSE LAGE DER CHRISTEN IN SYRIEN HEUTE

Die im 4. und 5. Jahrhundert im Zusammenhang mit den christologischen Kontroversen erfolgten Spaltungen der Christen im syrisch-palästinensischen Orient dauern an; ja es sind weitere Aufgliederungen hinzugekommen, da sich in der Neuzeit viele Christen von ihrer Kirche getrennt haben und eine Union mit der römischen Kirche eingingen. Hinzu kommen noch die Trennungen durch die politische Neuordnung des Orients im 20. Jahrhundert. Was ehemals in der politischen Ordnung des Römischen Reiches als einheitliche Diözese Oriens den großen syrisch-palästinensischen Kulturraum umfaßte und auch unter den islamischen Kalifen und den türkischen Sultanen weitgehend als Einheit verwaltet wurde, zerfiel durch die Gründungen der modernen Staaten in viele kleine Einheiten. Die alte römische Diözese Oriens ist heute aufgegliedert in das gespaltene Zypern, die süd-östliche Türkei, Syrien, Irak, Libanon, Israel, Palästina, Jordanien und Sinai (Ägypten). In den vom Islam geprägten Ländern besitzen die Bürger keine demokratischen Rechte, da nach dem Grundgesetz des Koran die Macht nicht vom Volk ausgeht, sondern allein von Allah und seinen irdischen Vertretern. Die Zahl der Christen ist in diesen Ländern, abgesehen vom Libanon, auf etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung zusammengeschrumpft. Die Drangsalierung der Christen in islamischer Umgebung hält an. Sie zeigt sich vor allem bei der Gründung von Schulen oder dem Bau von Kirchen, bei der Berufssuche oder der Aufnahme in den kommunalen und staatlichen Dienst; Muslime werden bevorzugt, und viele christliche Familien sehen sich um der Zukunft ihrer Kinder willen genötigt, nach Europa, Amerika und Australien auszuwandern. Das islamische Eherecht verbietet zudem einem islamischen Mädchen, einen christlichen Mann zu heiraten, fördert aber die Heirat zwischen einem islamischen Mann und einer christlichen Frau, da die Kinder mit der Geburt die Religion des Mannes annehmen. Eine Konversion zum Islam ist erwünscht, die zum Christentum verboten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die orthodoxe Kirche
Die Patriarchate von Antiocheia und Jerusalem haben sich unter den Repressalien der islamischen Herrscher stärker an die oströmischen Kaiser und das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel gebunden und seit dem 10. Jahrhundert sogar ihre heimische Liturgie durch die liturgische Ordnung der Kaiserstadt ersetzt. Abschätzig wurden sie von der islamischen Bevölkerung, aber auch von den Christen der anderen Kirchen als Melkiten, Königstreue, bezeichnet.
1) Der orthodoxe Patriarch "der großen Gottesstadt Antiocheia, Syriens, Arabiens, Kilikiens (Türkei), Iberiens (Georgiens), Mesopotamiens und des ganzen Orients" hat seinen Sitz aus dem heute türkischen Antiochien (Antakya) in das syrische Damaskus verlegt. Die Zahl der Gläubigen beträgt etwa 210.000, wovon ca. 150.000 in Amerika leben.
2) Der orthodoxe Patriarch "der Heiligen Stadt Jerusalem und von ganz Palästina, Syrien, Arabien, von Jenseits des Jordans, von Kana in Galiläa und des Heiligen Sion" hat seinen Sitz in Jerusalem. Die Zahl der zumeist arabisch sprechenden, palästinensischen Gläubigen, die durch Beschränkungen ihrer überkommenen Rechte im israelischen Staat zu Bürgern zweiter Klasse degradiert sind und deshalb immer häufiger auswandern, wird auf 80.000 geschätzt. Als autonome Kirche ist das Erzbistum des Berges Sinai mit dem Katharinenkloster, das politisch zu Ägypten gehört, und den etwa 20 griechischen Mönchen dem Patriarchat von Jerusalem zugeordnet.
3) Als Melkiten bezeichnen sich heutigentags vor allem die mit Rom unierten Christen orthodoxer Tradition. Mit der türkisch-osmanischen Herrschaft über den Orient seit dem 16. Jahrhundert wurde die Lage der Christen immer desolater; von Konstantinopel, das 1453 von den Türken erobert wurde, war Hilfe nicht zu erwarten. Unter dem Einfluß lateinischer "Missionare" und der von ihnen errichteten Schulen wandten sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts viele orthodoxe Christen der römischen Kirche zu, und seit 1724 besteht das katholische, melkitische Patriarchat von Antiocheia mit heutigem Sitz in Damaskus; ihm zugeordnet ist das Patriarchalvikariat von Jerusalem. Die Zahl der Gläubigen, zumeist syrischarabischer und palästinensisch-arabischer Herkunft, beträgt etwa 500.000 Gläubige, wovon jedoch ca. 200.000 in Europa und in Amerika leben. Die unierten Melkiten haben sich erfolgreich gegen die Latinisierung gewehrt und ihr orthodoxes Erbe bewahrt.
4) Die Maroniten, hauptsächlich im Libanon und im westlichen Syrien beheimatet, haben ihre
Wurzeln ebenfalls in der syrischen Kirche; ihren Namen leiten sie von einem Mönch Maron (gest. um 423) her. Sie vertreten wie die orthodoxen Griechen Syriens die Lehre des Konzils von Chalkedon von den beiden Naturen in Christus. Zur Zeit der Kreuzfahrer haben sie sich 1181 geschlossen der Kirche von Rom unterstellt; seither haben sie sich jedoch stark der geistigen und liturgischen Latinisierung geöffnet. Der maronitische Patriarch, der ebenfalls den Titel von Antiocheia führt, hat seinen Sitz seit 1790 in Bherké (Libanon). Die Zahl der Maroniten im Libanon und im Ausland (Syrien, Palästina, Amerika, Australien) beträgt etwa 1.400.000 Gläubige.
 

Die westsyrische Kirche
Viele Christen westsyrisch-semitischer Herkunft haben die Lehre des Konzils von Chalkedon von 451 nicht angenommen. Ihre kirchliche Organisation, gegen den Widerstand der oströmischen Kaiser und der orthodoxen Kirche aufgebaut, geht auf den Mönch und Bischof Jakob Burdeana (gest. 578) zurück.
1) Diese westsyrische Nationalkirche, zuweilen als Jakobitische Kirche bezeichnet, gehört mit der Armenischen, Koptischen und Äthiopischen Kirche zu den vorchalkedonischen Gemeinschaften. Sie selbst bezeichnet sich als Syrisch-Orthodoxe Kirche und betrachtet sich als legitime Erbin der Tradition von Antiochien; der Patriarch von "Antiocheia und dem ganzen Orient" hat seinen Sitz ebenfalls in Damaskus. Etwa 150.000 Gläubige gehören dieser syrischen Nationalkirche an, von denen ca. 80.000 im Kerngebiet ihres Ursprungs leben, viele davon unter türkischer und kurdischer Unterdrückung im Tur 'Abdin, dem "Berg der Gottesknechte" in der Südosttürkei.
2) Die westsyrische Kirche hat sich im 17. Jahrhundert in Indien ausgebreitet; dort erhielt sie starken Zulauf von den Thomas-Christen, die sich wegen der Latinisierungsversuche aus dem Abendland von ihrer Kirche abwandten und sich dem Patriarchat von Antiocheia unterstellten oder eine völlig unabhängige Kirche bildeten. Der Katholikos der autonomen "Syrisch-Orthodoxen Kirche des Ostens" unter dem antiochenischen Patriarchat hat seinen Sitz in Muvattupuzha im indischen Kerala. Der unabhängige Katholikos "des Apostolischen Thrones des heiligen Thomas" der Mar-Thoma-Kirche residiert in Kottayam in Kerala. Jede der beiden Kirchen hat etwa 75.000 Gläubige, hauptsächlich in Indien.
3) Teilunionen mit der Römischen Kirche haben die Syrische Kirche in der Neuzeit weiter aufgespalten. Das "Syrisch-Katholische Patriarchat von Antiochien" mit Sitz in Beirut (Libanon) umfaßt etwa 80.000 Gläubige. Aus Teilen der indischen Kirche westsyrischer Tradition ist durch Union mit Rom die "Katholische Metropolie der Syro-Malankarischen Kirche" hervorgegangen; zu ihr gehören etwa 200.000 Gläubige, der katholische Metropolit residiert in Trivandrum in Kerala.


Die ostsyrische Kirche
Die Christen Ostsyriens im Zweistromland (heute Irak) und in Persien, die unter persischer Herrschaft nicht an den Konzilien von Ephesus (431) und Chalkedon (451) teilnehmen konnten und später der Lehre des Nestorios folgten, weshalb sie zuweilen als Nestorianer bezeichnet werden, bilden die "Apostolische und Katholische Kirche des Ostens". Ihre intensive Missionstätigkeit vom 4. bis zum 13. Jahrhundert hat die christliche Botschaft nach Indien, Zentralasien und nach China getragen. Die Kirche der Thomas-Christen im Südwesten Indiens wurde durch sie belebt und erhielt durch sie ihre Organisation. Leider hat die Mongolenherrschaft vom 13. bis zum 16. Jahrhundert diese einst blühende Kirche weithin vernichtet.
1) Die ostsyrischen Christen bezeichnen sich heute gern als Assyrer; ihre Zahl beläuft sich etwa auf 130.000 Christen, wovon ca. 50.000 in den USA leben. Seinen Sitz hat der Katholikos- Patriarch in Teheran.
2) Das der Tradition nach auf den Apostel Thomas zurückgehende Christentum im Südwesten Indiens, das vom 4. Jahrhundert an belebende Impulse und Organisation von der ostsyrischen Kirche empfangen hatte, war durch die Mongolenherrschaft nur noch ein Schattenbild seiner früheren Größe. Auf einer Synode 1599 verfügte der portugiesische Bischof von Goa die Zwangsunion mit Rom und die Latinisierung der Riten der Thomas-Kirche. Als Reaktion darauf unterstellten sich viele Thomas-Christen dem Patriarchen der Syrisch-Orthodoxen Kirche. So wurde die ostsyrische Kirche in Indien völlig zerschlagen; ihr gehören nur noch 15.000 Christenan.
3) Zu den mit Rom unierten Kirchen des ostsyrischen Ritus zählen das Chaldäische Patriarchat von Babylon mit Patriarchensitz in Bagdad, dem etwa 270.000 Gläubige angehören, und die Ostsyrisch-Malabarische Kirche mit eigener indischer Hierarchie und mit etwa zwei Millionen Gläubigen; nach ihrer Zwangslatinisierung Ende des 16. Jahrhunderts durch die Portugiesen besinnt sie sich heute wieder stärker auf ihre ostsyrischen Wurzeln.
Die Zersplitterung der syrischen Kirchen ist im 19. Jahrhundert noch größer geworden, seitdem es neben den Unionen mit der römisch-katholischen Kirche fast überall aufgrund von "Missionierung" auch evangelische Gemeinschaften gibt.