|
Michael Schneider
Zur Frage nach Gott in der modernen Literatur
Edition Cardo Bd.
43
(ISBN 3-933001-39-0) Köln2000. Preis: 7.50 Euro
Seit der »Rede des toten
Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei« (Jean Paul) und der
Deklaration, daß Gott »tot« ist (Friedrich Nietzsche), wurde die
»Todesanzeige« Gottes immer wieder neu geschrieben. Vielen Schriftstellern
der Gegenwart gilt »Gott« bloß als ein »schlechtes Stilprinzip«, vor allem
sobald die Rede von ihm vorschnell auf das Niveau banaler Erbauung, simpler
Versöhnung und »billiger Gnade« herabgezogen wird; von anderen Literaten
wird aber nicht nur die Rede, sondern schon die Frage nach Gott als überholt
ausgegeben. »Was wäre, wenn Jesus heute käme?« Hierauf antwortet Sören
Kierkegaard kurz und bündig: »Er würde dann vielleicht nicht totgeschlagen,
sondern ausgelacht.« Kurt Tucholsky bemerkt in einem Brief des Jahres 1935:
»Alle sagen, man würde Christus, wenn er heute wiederkäme, kreuzigen. Das
halte ich für falsch. Man würde ihn interviewen.« Ein solches Interview
führt Stefan Andres in seinem Hörspiel »Der Reporter Gottes« (1952) durch.
Ist der Platz, den früher Gott einmal einnahm, inzwischen neu belegt?
Gottfried Benn wählt in der Tat eine geistige Alternative. An die Stelle
Gottes stellt er die Kunst als letzte Möglichkeit von Transzendenz. Doch
diese Alternative hat sich nicht durchgesetzt. Die These von der Kunst als
weltanschaulichem Ersatz erwies sich als eine Sackgasse. Nur Rainer Maria
Rilke scheint auf der Linie Gottfried Benns zu liegen, wenn er den Künstler
als Gott-Gebärer versteht. Ist also die Rede von Gott bzw. die Frage nach
ihm wirklich überflüssig geworden? Die Fragestellung bedeutet eine
Herausforderung für die Theologie. Heinrich Böll meint, daß die Theologie,
weil sie ständig nur Dogmensätze und Katechismuswissen reproduziert, keine
Bedeutung für das Leben der Menschen hat bzw. bisher auch nie gehabt hat:
Ich glaube nicht, daß die
Theologie, also die Theologie als Wissenschaft, jemals für die Menschen sehr
wichtig gewesen ist. Wichtig gewesen ist immer für die Menschen das
Sekundäre an der Theologie - das also, was unwichtig war. Die Religionen,
die Konfessionen, die Kirchen haben die Menschen immer mit dem Sekundären
unterdrückt, geknechtet, an der Strippe gehalten ... Und die Theologie in
ihren großen Erkenntnissen, die sie zum Teil gehabt hat, ist nie
durchgedrungen bis unten ... Und wahrscheinlich ist die Literatur, selbst
die fiktivste, die anspruchvollste, die esoterischste, in ihrer Mitteilung
an den Menschen - denn sie ist ja eine Mitteilung an den Menschen, was nicht
mitteilbar ist, ist nicht da - glaubwürdiger als die Theologie. Sogar in den
niedrigsten Artikulationsebenen ist sie menschlicher, vertrauenswürdiger,
glaubwürdiger als die Sekundär-Theologie, von der die Menschen immer
bestimmt worden sind; und glaubwürdiger als die Sekundär-Philosophie.
Der Mensch von heute
fühlt sich nicht von den theologischen Diskussionen oder lehramtlichen
Äußerungen der offiziellen Kirche, sondern eher von den literarischen
Zeugnissen verstanden und »abgeholt«. Den Literaten der Gegenwart scheint es
leichter zu fallen, glaubwürdig den Menschen unmittelbar mit seinen eigenen
Erfahrungen, Hoffnungen und Ängsten zu konfrontieren. Deshalb soll es in den
folgenden Überlegungen um die Gottesfrage in der modernen Literatur und ihre
Bedeutung für die Theologie von heute gehen. Dabei werden skizzenartig die
verschiedenen Ansätze der Literaten vorgestellt, ohne daß auf ihre
jeweiligen Äußerungen und Positionen im einzelnen eingegangen werden kann.
Der theologische bzw. dogmatische Gehalt der literarischen Zeugnisse wurde
in einer Vorlesungsreihe behandelt.
|