Im Monat Februar 2014

Das Buch des Monats - Kommentiert von Michael Schneider

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Michael Schneider

Zur Frage nach Gott in der modernen Literatur

Edition Cardo Bd. 43 (ISBN 3-933001-39-0)  Köln2000. Preis: 7.50 Euro

 

Seit der »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei« (Jean Paul) und der Deklaration, daß Gott »tot« ist (Friedrich Nietzsche), wurde die »Todesanzeige« Gottes immer wieder neu geschrieben. Vielen Schriftstellern der Gegenwart gilt »Gott« bloß als ein »schlechtes Stilprinzip«, vor allem sobald die Rede von ihm vorschnell auf das Niveau banaler Erbauung, simpler Versöhnung und »billiger Gnade« herabgezogen wird; von anderen Literaten wird aber nicht nur die Rede, sondern schon die Frage nach Gott als überholt ausgegeben. »Was wäre, wenn Jesus heute käme?« Hierauf antwortet Sören Kierkegaard kurz und bündig: »Er würde dann vielleicht nicht totgeschlagen, sondern ausgelacht.« Kurt Tucholsky bemerkt in einem Brief des Jahres 1935: »Alle sagen, man würde Christus, wenn er heute wiederkäme, kreuzigen. Das halte ich für falsch. Man würde ihn interviewen.« Ein solches Interview führt Stefan Andres in seinem Hörspiel »Der Reporter Gottes« (1952) durch. Ist der Platz, den früher Gott einmal einnahm, inzwischen neu belegt? Gottfried Benn wählt in der Tat eine geistige Alternative. An die Stelle Gottes stellt er die Kunst als letzte Möglichkeit von Transzendenz. Doch diese Alternative hat sich nicht durchgesetzt. Die These von der Kunst als weltanschaulichem Ersatz erwies sich als eine Sackgasse. Nur Rainer Maria Rilke scheint auf der Linie Gottfried Benns zu liegen, wenn er den Künstler als Gott-Gebärer versteht. Ist also die Rede von Gott bzw. die Frage nach ihm wirklich überflüssig geworden? Die Fragestellung bedeutet eine Herausforderung für die Theologie. Heinrich Böll meint, daß die Theologie, weil sie ständig nur Dogmensätze und Katechismuswissen reproduziert, keine Bedeutung für das Leben der Menschen hat bzw. bisher auch nie gehabt hat:

 

Ich glaube nicht, daß die Theologie, also die Theologie als Wissenschaft, jemals für die Menschen sehr wichtig gewesen ist. Wichtig gewesen ist immer für die Menschen das Sekundäre an der Theologie - das also, was unwichtig war. Die Religionen, die Konfessionen, die Kirchen haben die Menschen immer mit dem Sekundären unterdrückt, geknechtet, an der Strippe gehalten ... Und die Theologie in ihren großen Erkenntnissen, die sie zum Teil gehabt hat, ist nie durchgedrungen bis unten ... Und wahrscheinlich ist die Literatur, selbst die fiktivste, die anspruchvollste, die esoterischste, in ihrer Mitteilung an den Menschen - denn sie ist ja eine Mitteilung an den Menschen, was nicht mitteilbar ist, ist nicht da - glaubwürdiger als die Theologie. Sogar in den niedrigsten Artikulationsebenen ist sie menschlicher, vertrauenswürdiger, glaubwürdiger als die Sekundär-Theologie, von der die Menschen immer bestimmt worden sind; und glaubwürdiger als die Sekundär-Philosophie.

 

Der Mensch von heute fühlt sich nicht von den theologischen Diskussionen oder lehramtlichen Äußerungen der offiziellen Kirche, sondern eher von den literarischen Zeugnissen verstanden und »abgeholt«. Den Literaten der Gegenwart scheint es leichter zu fallen, glaubwürdig den Menschen unmittelbar mit seinen eigenen Erfahrungen, Hoffnungen und Ängsten zu konfrontieren. Deshalb soll es in den folgenden Überlegungen um die Gottesfrage in der modernen Literatur und ihre Bedeutung für die Theologie von heute gehen. Dabei werden skizzenartig die verschiedenen Ansätze der Literaten vorgestellt, ohne daß auf ihre jeweiligen Äußerungen und Positionen im einzelnen eingegangen werden kann. Der theologische bzw. dogmatische Gehalt der literarischen Zeugnisse wurde in einer Vorlesungsreihe behandelt.