Anthony Bloom

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Ich verstehe unter Glauben nicht irgendeine Ungewissheit, die aus Verwirrung und Unklarheit kommt, sondern ein Infragestellen, das die Wirklichkeit des Lebens zu entdecken sucht. 
Es ist viel leichter, kein Geld zu haben, als innerlich arm zu sein und frei von Bindungen. Dies lernt man nur schwer und allmählich, von Jahr zu Jahr. Man lernt, den Wert der Dinge einzuschätzen, und sieht die Schönheit der Menschen, ohne Verlangen, sie besitzen zu wollen. Das Gelübde der Armut lässt mich die Dinge richtig sehen.
In gewissen Augenblicken muss man sich körperlich zurückziehen, um zu begreifen, dass eine Person oder eine Sache ihr eigenes Lebensrecht hat und nicht der Spiegel meiner Emotionen ist.

Wenn wir uns Gott zuwenden und Auge in Auge ihm gegenüberstehen, müssen wir auch den Preis dafür zahlen. Dann entdecken wir, wie tief und weit das Leben ist, unendlich wert, gelebt zu werden.
Gott begegnen heißt: die »Höhle eines Löwen« betreten. Man trifft dort keine Schmeichelkätzchen. Das Reich Gottes ist gefährlich. 
Ich wünsche mir eine Haltung, die mich ganz in Anspruch nimmt, ohne dass ich meine Freiheit verliere. Entscheidend ist, dass ich niemals frage: »Was wird dabei herauskommen?«
Wir jammern, dass sich uns Gott in den wenigen Minuten, die wir für ihn übrig haben, nicht zeigt. Wie steht es aber mit den dreiundzwanzigeinhalb Stunden, in denen Gott bei uns anklopft und wir ihm antworten: »Es tut mir leid, ich habe so viel zu tun«?
Man muss etwas mit Gott gemeinsam haben, um ihm begegnen zu können.
Gott ist bereit, von uns missachtet zu werden, unser Leben als Kreuz auf sich zu nehmen. Aber er geht nicht darauf ein, nur etwas in unserem Leben zu sein.
Man soll sich beim Beten zuerst nach innen wenden, nicht zu einem Gott im Himmel oder in weiter Ferne. Gott ist uns näher, als wir es wissen. Sodann sollte man solche Worte zum Gebet wählen, die zu einem passen, deren man sich nicht zu schämen braucht, die das ausdrücken, was wir sind.
Es genügt jedoch nicht, Gebete auswendig zu lernen, man muss sie leben. Immer wieder und unermüdlich ein Wort im Lauf des Tages anwenden.
Solange wir nicht den richtigen Namen für Gott gefunden haben, haben wir noch keinen freien, konkreten, frohmachenden, offenen Zugang zu ihm.
Es ist sinnlos, ein Glied des Leibes Christi zu sein und sich zu weigern, den Willen Christi zu tun.

Wenn Sie die ganze Zeit sprechen, hat Gott gar keine Möglichkeit, auch ein Wort zu sagen ... Gehen Sie nach dem Frühstück auf Ihr Zimmer, bringen Sie es in Ordnung und stellen Sie Ihren Sessel so, dass Sie all die dunklen Ecken, in denen man Dinge versteckt, die man nicht sehen soll, gar nicht bemerken. Zünden Sie Ihre kleine Lampe vor der Ikone an und beobachten Sie einmal, was in Ihrem Zimmer ist. Setzen Sie sich einfach hin, blicken Sie umher und versuchen Sie, aufmerksam Ihre Wohnung zu betrachten. Denn ich glaube, die vierzehn Jahre hindurch, in denen Sie so viel gebetet haben, haben Sie Ihr Zimmer vergessen. Dann nehmen Sie Ihr Strickzeug und stricken Sie eine Viertelstunde lang vor dem lieben Gott. Ich verbiete Ihnen aber, auch nur ein einziges Gebet zu sprechen. Stricken Sie einfach und erfreuen Sie sich am Frieden Ihres Zimmers.
Geistliches Leben heute heißt nicht: Wie wird unser Leben wieder geistlich?, sondern: Gottes Leben will in der Gegenwart einer jeden Zeit durch Menschen zum Ausdruck gelangen. Es gibt keine Spiritualität der Gegenwart, wenn wir nicht Gottes Gegenwart sind.
Gott will uns brauchen, um sein Leben durch uns offenbar zu machen. Er zeigt dadurch, dass wir uns schon in seiner Ewigkeit befinden und schon im Besitz von etwas sind, das aber noch nicht das Ganze ist. Das Ganze ist es erst später.
Unser geistliches Leben als das offenbar werdende Leben Gottes in uns ist also schon in der Ewigkeit und zugleich noch in der tragischen Erde. Wir selbst gehören der Erde schon nicht mehr an, sondern jener Realität, die weiter und breiter als die Erde ist. Die Frage, die an uns gerichtet ist und die bleibt, lautet immer: Geben wir uns dazu her, dass Gott sein Leben an uns offenbaren will?