Vom gläubigen Umgang mit der Zeit

Am 23. Oktober 1998 wurde vom Uhrenhersteller Swatch eine neue Zeitrechnung propagiert, die inzwischen schon in viele Computer und Uhren eingetragen ist.[1] Neu an dieser Internet-Zeit ist, dass sie sich nicht nach dem Lauf der Sonne richtet und darum auch keine Zeitzonen kennt. Die Zeit wird nicht mehr in Stunden und Minuten eingeteilt, sondern in 1000 Beats à 86,4 Sekunden. Um null Uhr Biel-Zeit beginnt mit null Beats ein neuer Netztag. So können sich Manager überall auf der Welt zu derselben Beat-Zeit verabreden; eine mögliche Zeitverschiebung kann es künftig nur noch zwischen on- und offline lebenden Menschen geben. - Es dauerte nicht lange, bis dass auch der britische Premierminister Tony Blair eine brandneue Internet-Zeit einführte, nämlich die Greenwich Electronic Time, die ebenfalls keine Zeitzonen kennt, aber er war mit seinem Vorhaben leider 435.000 Beats später als der Uhrenfabrikant aus dem schweizerischen Biel.

 

Die Zeit hat es bekanntlich in sich, wie wir alle wissen und täglich erfahren, und es ist nicht immer leicht, die Zeit auf eine gute Weise zu nutzen. Wer aber in seinem Leben etwas erreichen möchte, wird an Grundentscheidungen nicht vorbeikommen und sich immer wieder überlegen müssen, wie er[2] auf rechte Weise mit seiner Zeit umgehen möchte. Was ist bei der Einteilung der Zeiten im eigenen Alltag wichtig? Was steht an erster Stelle? Schon wenn einer seinen Wecker stellt, um am nächsten Morgen rechtzeitig aufzustehen und seine geistliche Übung machen zu können, hat er eine Entscheidung getroffen, was bei ihm im Leben den Vorrang hat. Nicht anders verhält es sich in der Einteilung der Zeit, die einer für seine Mitmenschen oder auch für sich selber frei hält. Nur wenige andere Vollzüge im Leben geben so viel Auskunft über die Grundentscheidungen eines Menschen wie gerade sein Umgang mit der Zeit und die Prioritäten, die er dabei setzt.

 

So kann es gut und nützlich sein, sich einmal ausdrücklich über das eigene Zeitverhalten Rechenschaft abzulegen. Dies ist auch in geistlicher Hinsicht von großer Bedeutung, denn die Zeit ist ja die Gabe und das Geschenk Gottes, das einem jeden als Talent anvertraut ist, damit er mit ihm wuchert. Wir müssen die Zeit ausnützen, sie also nicht absitzen, vertrödeln oder gar verschlafen. Deshalb soll in den folgenden Überlegungen das Psalmwort: »Meine Zeit steht in Deinen Händen« (Ps 31,16a) einmal umgeformt werden in den Leitsatz: »Gottes Zeit in meinen Händen.« Gott legt jedem Menschen seine Zeit in die Hände, damit sie ihm zum »Sakrament des Augenblicks« wird, in dem Gott ihm begegnet.

 

Die Frage nach der Zeit und dem gläubigen Umgang mit ihr nimmt in der Ausformung des geistlichen Lebens eine zentrale Stelle ein und gibt wichtige Auskünfte bei der Bewertung eines geistlichen Lebensstils. Dies soll zunächst in einigen grundlegenden Überlegungen über die Bedeutung der Zeit gezeigt werden (1.). Sie beginnen mit neuen Orientierungen über die Zeit, wie sie sich augenblicklich in der modernen Literatur finden (2.). Der Glaubende, der aus der Fülle der Zeit lebt, die mit Jesus Christus angebrochen ist (3.), sieht sich aufgefordert, sein ganzes Leben auf Christus hin Gestalt werden zu lassen (4.). Dies geschieht durch die Ordnung der Zeit (5.) und einen gläubigen Umgang mit ihr (6.); im Glauben an Christus sieht sich der Glaubende aufgefordert, das Talent Zeit auf rechte Weise zu nutzen (7.).