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3. Die Fülle der Zeit |
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Die »geglückte Zeit« heißt in der Sprache der Heiligen Schrift die »Fülle der Zeit«. Auf diese Zeit werden wir im Gottesdienst verwiesen, wenn es zu Beginn der Evangelienlesung heißt: »in jener Zeit«: Christus selbst führt in seinem Leben die Zeit zu ihrer Fülle.
a) Gottes Ewigkeit in der Zeit
Der Eintritt des Menschensohnes in die Zeit bedeutet die Erfüllung der »kairoi« des Alten Bundes, die in ihren Verheißungen auf den kairos der messianischen Wiederkunft verweisen. Bei Johannes spricht Christus von »meinem« kairos
(Joh 7,5f). Der Satan, der »Archon und Gott dieses Weltalters« (Joh 14,30; 2 Kor 4,4),
lässt nach den Versuchungen des Herrn in der
Wüste von ihm ab - aber nur »bis zum
kairos« (Lk 4,13). Diesen kairos sieht Christus mit seiner Passion gegeben: »Mein kairos ist nahe ... Ich bereite das Pascha mit meinen Jüngern!«
(Mt 26,18). Der kairos, den Jesus als die »Fülle der Zeit« ankündigt, ist jedoch die Stunde des Kreuzes, die Erfahrung der »Anwesenheit Gottes« in seiner »Abwesenheit«. Mit der Auferstehung wird der kairos zum Zeitmaß neuen, ewigen Lebens, das
stärker ist als die Zeit und der Tod.
Diese gläubige Botschaft von der Rettung der Zeit durch die Fülle der Zeit gibt dem Leben des Menschen eine neue Gelassenheit. Wie in aller Hetze eine Angst vor dem Tod und dem mit ihm gegebenen Loslassen liegt, weiß der Glaubende, dass er sich die Zeit nicht zu »retten« braucht, denn sie ist schon in die Ewigkeit hinein aufgehoben. Gewiss, gelegentlich hatte auch Jesus »nicht einmal mehr Zeit zum Essen« (Mk 6,31), dennoch nahm er sich immer wieder Zeit, um in der Stille der Nacht »auf einem Berg« zu beten (Mt 14,21 u.ö.).
b) Die gesegnete Zeit
Der Schlaf ist Einübung ins Sterben, er ist der »kleine Bruder des Todes«. Zu einem »gesegneten Schlaf« findet nur jener, der sich fallen lassen kann in dem unbedingten Vertrauen, »von guten Mächten« umgeben zu sein. Hierzu bedarf es aber auch der allabendlichen Einübung in den Schlaf, bei der jeweils die praktischen Fragen des Alltags und die Probleme des vergangenen und kommenden Tages gewissenhaft und konsequent zu Ende gedacht und geregelt werden. Gerade die letzten Gedanken, Gefühle und Stimmungen, die in uns hochkommen, bevor wir ins Bett gehen, entscheiden, ob wir in einen erholsamen Schlaf finden und morgens ausgeschlafen aufstehen. Vieles kommt in der Nacht hoch, was am Tage nicht ins Bewusstsein gelangen konnte. Wäre es dann recht, einem solchen Anruf mit Rücksicht auf den guten Schlaf auszuweichen?! Es gibt eine Segensfülle der schlaflosen Stunden der Nacht. Der Morgen ist die Chance eines Neubeginns mit Gott: »Die Gott lieben, müssen sein, wie die Sonne aufgeht in ihrer Macht« (Ri 5,31). Die frühen Christen haben den Morgen und den Aufgang der Sonne mit ihrem Glanz als eine festliche Stunde erfahren, in der die Herrlichkeit des Herrn aufgeht. Jedes Aufwachen und Aufstehen war für sie eine Hindeutung auf die Wiedergeburt und Auferstehung: »Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.«
c) Die geistliche Zeit
Als »spirituell« gilt immer weniger das Aufgebot religiöser und asketischer Leistungen, eine reich differenzierte religiöse Programmgestaltung des Tags und ein möglichst treues Ableisten religiöser Vorschriften und Ordnungen; erst recht wird
heutzutage ein kontemplatives Leben im Sinn einer Vorliebe für das »Religiöse« und einer Vielzahl religiöser Gewohnheiten und Rhythmen abgelehnt. Das »geistliche Leben« bestimmt sich heute nicht mehr als ein Sonderbereich im Alltag oder als eine Ansammlung verschiedener Gebetszeiten, sondern als ein ganzheitliches Leben, als ein Leben aus der Ganzheit des Menschen (»aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüt«).[12] So wird in der Vielfalt der Formen, die das geistliche Leben in der gegenwärtigen Kirche annimmt, auch eine Neubestimmung des traditionellen Verständnisses im Einhalten der geistlichen Zeiten erkennbar. Wer als geistlicher Mensch leben möchte und seine Zeit recht ausnutzen will, wird sich um die Fähigkeit zu einem gläubigen Umgang mit der Wirklichkeit bemühen müssen. Geistliches Leben ist nach dieser Definition der
Integrationspunkt der ganzen Glaubensexistenz eines Menschen. Wer gelernt hat, in allen Dingen der Wirklichkeit und seines Lebens die Spuren Gottes zu suchen und zu finden, darf als ein »geistlicher« Mensch gelten. |